Aus gut drei Wochen sind gute drei Monate auf Gran Canaria geworden. Das reichte, um am UCI-Rennen La Titanica am 20. März teilzunehmen. Die Streckenführung hatte der Veranstalter anspruchsvoll durch die steilen Variante vom Tal der Tränen mit seinen 20% steilen Rampen gelegt. Insgesamt galt es 138 Kilometer mit 3500 Höhenmetern zu bewältigen. Für die Wertung wurden nur die drei wichtigen Anstiege jeweils mit Zeitmessung gewertet.
Am 20. März standen am Anfi-Beach an der Strandpromenade rund 270 Teilnehmer, darunter 15 Frauen, am Start. Um 8 Uhr setzte sich das Ganze mit Pacecar vorneweg in Bewegung. Es ging neutralisiert über die Küstenstraße durchs Soriatal zur ersten Anstiegsmessung: 9 km Soria-Richtung Tauropass. Da das Soriatal nicht komplett für den Verkehr gesperrt war, sorgten Begleitmotorräder dafür, dass sich das Fahrerfeld auf der rechten Spur bewegte. Dennoch fächerte es sich immer wieder auf, weil jeder so nah wie möglich an die Startlinie kommen wollte. Kam ein Fahrzeug entgegen, stoppte alles abrupt. Hierfür braucht es Nervestärke, um nicht zu viel Boden zur Startlinie zu verlieren, weil die Messung für alle dann beginnt, wenn der Rennleiter im Führungsfahrzeug die Flagge schwenkt.
Beim Gran Fondo EPIC GRAN CANARIA habe ich im letzten Jahr dieses Verfahren in Ayagaures kennen gelernt. Ich finde das ziemlich stressig und fühle mich nicht so versiert im Sturm nach vorn unter solchen Bedingungen. Daher war es auf den ersten Metern im Soriaanstieg etwas eng. Oben angekommen, führte die Strecke den Tauropass runter bis zur Kreuzung Mogan-San Nicolas. Dort war die erste Ladestation.
Es war alles sehr übersichtlich und passte ins Corona-Konzept. Das ist ein echter Pluspunkt an den Veranstalter. Von hier aus erfolgten alle 15 Minuten gruppenweise die Starts. Da mir der Stress von den 14 km im Soriatal noch zusetzte, schloß ich mich nicht der ersten Startgruppe an. Mit der zweiten Gruppe nahm ich den zweiten 12 km langen Wertungsabschnitt zwischen La Cuesta und Tasartico-Kreuzung in Angriff. Leider ging mein Konzept von einem schnellen Windschatten auf den letzten 5 km nicht auf. Ich musste sie allein durchziehen.
Nach der langen Abfahrt nach Aldea, unten an der nächsten Labestation, hatte ich ebenfalls Chance, mich der ersten Fahrergruppe durchs Tal der Tränen anzuschließen, ließ es aber. Tranquillo eben. Dann fand sich die zweite Gruppe, darunter ich, vor der Labe ein, und es ging zum Start ins Tal der Tränen. Dort hieß es: „Maske aufsetzen.“ Wir mussten noch zwei Minuten warten. Dieses Mal stand ich weiter vorne und konnte alles gut sehen. Dann zählte der Posten auf der linken Straßenseite die letzten fünf Sekunden runter, und es ging los.
Die ersten 11 km sind ein Rauf-Runter-Parkour. Die Schichtkehren an der ersten Staustufe weisen mehr Steigungsprzente auf als die Kehren vor der zweiten Stauseepassage. Danach nahm ich ein Gel, um mich für die 11 km mit den Steilpassagen Korkenzieher und Carrizal zu rüsten. Der Korkenzieher weist in der Spitze 20 Prozent auf. Dann folgt ein moderater Abschnitt inklusive einer rauen Abfahrt. Hier sprach mich ein spanischer Leidensgenosse an: „Duro.“ „Mas duro el Carrizal“, sagte ich.
Zuvor wollte ich meine leere Geltube noch an jemanden reichen, weil ein Anhalten an dortigen Mülltonnen zu viel Zeit kostet. Das klappte nicht. Also nahm ich sie weiter mit. El Carrizal ist die Schlüsselstelle. Hier gibt es kein Pardon, nur Durchziehen. Das zweite Gel hielt ich mir gedanklich als Belohnung vor. Als ich endlich in weniger steiles Gelände kam, konnte ich aus meinem inneren Tunnel wieder mehr weiter draußen wahrnehmen und sah eine Mitfahrerin auf der Strecke. Ich fuhr heran und überholte.
Mein Tritt war gut und kaum quälig. Das Gel verschwand aus meiner Vorstellung. Die vielen gelben Blüten erfreuten meinen Blick. Vor mir lagen der Ziegenstall und die Kirche von Toscon. Hier sind noch ein paar steile Abschnitte, aber sie sind überschaubar. Bis zum Schluß ging es zügig und gut voran.
Im Ziel war ich daher über mein Ergebnis im Tal der Tränen überrascht. Hier lag ich hinter der Fahrerin, die ich hinter Carrizal überholt hatte und belegte nach der Ergebnisliste des Veranstalters im Gesamtrang der Damen den 4. Platz. Im Nachgang stellte sich heraus, dass ich durch einen Übermittlungsfehler nicht der zweiten, sondern der ersten Startgruppe im Tal der Tränen zugeordnet worden war. Durch diese falsche Startzeit hatte sich meine Fahrzeit um 13 Minuten verlängert.
Mit Hilfe von Strava-Segmenten ließ sich das aufklären. Das Problem ist, das „unten“ beim Start keine elektronische Messung erfolgte, sondern, dass die Startnummern der Fahrer der Startgruppen einzeln quasi von Hand erfasst wurden. Im Rennstress eine Herausforderung für die Crew. Übermittlungsfehler sind da vorprogrammiert. Der Veranstalter korrigierte die Zeit und entschuldigte sich für diesen Irrtum. Die Trophäe für den 3. Platz werde ich im kommenden Dezember abholen, wenn ich wieder auf der Insel bin. Auch wenn das Rennen aufgrund der Corona-Situation mit weniger Teilnehmern und Teilnehmerinnen als sonst stattfand, war das Leistungsniveau hoch. Zwei jüngere Profifahrerinnen belegen bei den Damen die Plätze 1 und 2. Bei den Herren konnte Matthias Nothegger souverän den Sieg einfahren.