Neulich war ich mal wieder im Zabergäu. 250 km Strecke. Fast alles im Windschatten von Osenberg, der sein neues Zeitfahrrad testen wollte. An jedem längeren Hügel war ein Intervall angesagt. Eigentlich war die gesamte Ausfahrt für mich ein einziges Intervall. Bis auf eine kurze Pause, wo wir Wasser nachfüllten. Osenberg lotste mich zu einem Friedhof in Häfnerhaslach. „Hervorragende Wasserqualität“, versprach er. Auf der Rückfahrt, als Osenberg schon längst nach Hause abgebogen war, bekam ich im Steinachtal Magenprobleme plus Durchfall und musste kurz hinter Schönau hastig unter eine Brücke kacken. Damit nicht genug. Ab dem Moment befand ich mich im Unterzucker und quälte mich wie in Zeitlupe den letzten Anstieg hoch. Oben in Wilhelmsfeld taumelte ich völlig benommen in die Dönerbude, stammelte das Wort „Cola“ und griff mir ohne zu zögern eine Flasche aus dem Kühlregal. Eine Zeit lang saß ich dort apathisch auf einem Stühlchen. Bis langsam die Lebensgeister zurückkamen. Schließlich konnte ich weiterfahren und hatte für die restlichen Kilometer wieder richtig Druck in den Beinen. Diese Auferstehung, das ich es eigentlich, was den Radsport für mich so faszinierend macht. Ein Gefühl, als wäre man dem Tod gerade nochmal so entkommen. Was ja vielleicht auch tatsächlich stimmt. Wenn ich ehrlich bin, ist es bei meinen bisherigen Ötztaler-Teilnahmen eigentlich immer so gewesen, dass ich spätestens am Jaufenpass bedrohlich unterzuckert war und nur noch auf Sparflamme lief, weil ich es wegen Hektik und Stress versäumt hatte, mich rechtzeitig zu verpflegen. Man sollte es während des Ötztalers aber tunlichst vermeiden, in den Zustand einer schweren Unterzuckerung zu geraten.
Um meine Verpflegung auf der Langstrecke unter Wettkampfbedingungen zu üben, hatte ich mich zum Arber Radmarathon angemeldet. Ihr kennt es doch alle selbst. Auf den ersten Kilometern eines Rennens, einer RTF oder eines Alpenmarathons wird gerast, als befände man sich kurz vor der Zielgeraden. Natürlich verhalte ich mich nicht anders und halte anfangs voll rein. Nach einer Stunde Fahrzeit konnte ich immer noch das Führungsfahrzeug vor mir sehen. Die erste Verpflegungsstelle habe ich selbstverständlich ausgelassen. Kaum einer hat da angehalten. Die Fahrer um mich herum kämpften um jeden Meter und verteidigten ihre Position mit allen Mitteln. Je länger die Anstiege in den Hügeln des Bayerischen Walds wurden, desto mehr zog sich das Feld auseinander und zerfiel in immer mehr Einzelgrüppchen. Agiert wurde nicht im Stile von Verfolgern. Eher war es so, dass bei den von der Spitze Abgehängten keiner mehr Führungsarbeit leisten wollte. Auch ich sah nach zwei Stunden das erste Mal auf den Tacho und begann, die restlichen Tageskilometer runterzurechnen. An der nächsten Verpflegung hielt ich selbstverständlich an. Gereicht wurde Wasser, Isozeugs und Zitronentee, dazu gab es Obst und Energieriegel. Alles nicht unbedingt als Gaumenfreuden zu bezeichnen. Im weiteren Verlauf der Strecke verlor sich der anfängliche Renncharakter der Veranstaltung immer mehr. Jeder Fahrer war nunmehr mit sich selbst beschäftigt, an Positionskämpfen hatte niemand mehr Interesse. Hauptsache, ein geeignetes Hinterrad ließ sich finden.
Am dritten Verpflegungsstopp bot sich wiederum ein ganz neues Bild. Hier machten die Leute schon richtig Pause. Auf den Bänken gab es keine freien Plätze mehr, andere legten sich im Schatten ins Gras. Auch das Speisenangebot hatte sich verändert. Von Isoplörre und anderer Sportlernahrung keine Spur. Literweise kippte ich mir wie alle anderen Cola in den Bauch. Die Hände wurden klebrig von süßen Kuchenstücken, Wurstbroten und Apfelsinenhälften. Hier ließ ich all die Fahrer zurück, die mir anfangs in den Steilstücken davongesprintet waren.
Wenn ich jetzt erzähle, dass es an der letzten Verpflegung sogar Bier im Ausschank gab, glaubt mir das vielleicht keiner. Es wimmelte von Menschen, da sich auch die Teilnehmer der kürzeren Runden hier einfanden. Mit Maßkrügen in der Hand latschten sie stolz und ausgelassen umher, als wäre es eine Party. Was für ein krasser Gegensatz zur Hektik an Kontrollpunkt Nummer 1. Es schien, als wollte jeder lieber noch etwas verweilen und die Herausforderung der letzten 40 km noch ein bisschen vor sich her schieben. Dabei war die restliche Strecke nahezu flach. Tatsächlich konnte ich auch nochmal richtig Dampf machen. 245 km und 3.600 Höhenmeter waren fast absolviert, da kündigten sich kurz vor dem Ortseingang von Regensburg leichte Krämpfe auf den Innerseiten meiner Oberschenkel an. Ich hatte offenbar einfach zu wenig getrunken. Zu wenig Cola oder zu wenig Bier? Im Ziel aß ich erstmal ein halbes gebratenes Hähnchen.
Fans vom Dachs wollen wohl wissen, wie er beim Arber Radmarathon abgeschnitten hat. Der Dachs war gar nicht dabei. Er kurvt zur Zeit allein durch die Dolomiten und nennt das Ganze Familienurlaub. Und was gibt es Neues von Osenberg? Osenberg wurde von einem landwirtschaftlichen Nutzfahrzeug umgefahren. Hautabschürfungen, Prellungen und ein angebrochener Knochen. Ein Krankenwagen wurde gerufen. Es gab ein Riesentheater, weil Osenberg unbedingt wieder auf sein Rad steigen und weiterfahren wollte. Mit Gewalt wurde Osenberg schließlich abtransportiert. Aus dem Krankenhaus ist er dann aber abgehauen, bevor sie ihn operieren konnten. Eine OP kann Osenberg jetzt nicht gebrauchen. Es sind nur noch fünf Wochen bis zum Ötztaler.
Auch das fiel mir unterwegs auf: eine ganze Menge Personen waren mit unverkennbaren Gebrechen unterwegs. Krumme Schultern und andere Fehlstellungen, die vermutlich als Spätfolgen von Radunfällen zurückgeblieben waren. Ich ließ mir nichts anmerken. Im Gegenteil. Meine Formkurve zeigt jetzt deutlich nach oben. Mit meinen Beinen konnte ich ordentlich Eindruck schinden.