Jeder hat eine Geschichte

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    Auch ich habe eine Geschichte. Zumeist schreibe ich Geschichten über andere. Heute probiere ich es mal mit mir selbst. In Zeiten der Isolation wegen Covid-19 ist das vielleicht eine passende Gelegenheit. Dunkle Ecken in Schränken und Schubladen bergen Dinge aus der Vergangenheit. Wieso sie dort gelandet sind, und was da liegt, zeigt mir erst der Griff nach veralteten Tropfen, Pillen und Salben in Schubladen, die ich sonst nur aufziehe und zuschiebe, wenn ich was Bestimmtes suche und hoffe, es dort zu finden.

    Finden in diesem Getümmel von Päckchen, Fläschchen und Pläsierchen? Das ist wohl eher ein Anstoß zum Ärgern. So nutze ich den Impuls, das Ganze unter die Lupe zu nehmen und zu entrümpeln. Das gelingt sogar Schritt für Schritt. Ist der Anfang erst getan, nimmt es seinen Lauf. Verbandsmaterial und Medikamente bekommen je eine eigene Schublade. Und was finde ich zuvor darin? Ein kleines Päckchen Vergangenheit aus der DDR.

    Unter Abzeichen und Mitgliedsausweisen sind kleine Urkunden für das Sportabzeichen in Bronze zur Grundschulzeit und in Gold später am Gymnasium. Eine kleine Urkunde zu einer Friedensfahrt an meiner Schule zeigt, dass ich dabei den zweiten Platz belegt habe. Bis zum zweiten Platz in Sölden beim Ötztaler Radmarathon in meiner Altersklasse sollten Jahrzehnte vergehen.

    Damals hatte ich das Radfahren gerade auf dem Rad meiner Oma gelernt. Ich musste im Stehen fahren, weil sich der Sattel des 28-er Diamant-Rades nicht so tief stellen ließ. Die Balance zu halten, war die große Herausforderung. Meine Klassenkameradinnen konnten längst Radfahren. Sie hatten Roller und lernten später auf kleineren Rädern. Meine älteste Schwester bekam aus einem Nachbarort ein 24-er Rad. Das passte mir endlich, so dass ich im Sitzen treten konnte und bei der Friedensfahrt an der Schule an den Start gegangen bin. Alle Räder waren eine Basisausstattung ohne Gangschaltung, versteht sich.

    In all den Jahren ist mir diese Urkunde zur Friedensfahrt erst jetzt aufgefallen. Viel habe ich aus der damaligen Zeit nicht mitgenommen, da ich dem keine Bedeutung beigemaß. Dass das Radfahren für mich mal wichtig wird, hätte ich nicht gedacht. Vieles andere ereignete sich davor. Ich lernte Kajakfahren im Wildwasser und auf dem Meer, weil ich Wasser nicht so sehr fürchtete.

    Erst später kam das Rad Schritt für Schritt in mein Leben. Zuerst war es das Mountain Bike. Oh je. Ich musste das Schalten bei der Dreifachschaltung erst lernen und war schon über 30 Jahre. Dank Grip Shift und Ganganzeige kam ich zurecht. Doch die technischen Fähigkeiten auf dem Rad waren bis auf ebenes Geradeausfahren nicht vorhanden. Jetzt über Steine und Wurzeln auf- und abwärts zu fahren, war ein Kampf und mit vielen Tränen und einigen zum Glück nahezu kontrollierten Stürzen verbunden. Protektoren hielten Einzug mit dem Schweregrad der Trails am Gardasee.

    Um Kondition zu trainieren, trat 2005 das Rennrad auf den Plan. Damit ging es im Sommer gleich zum Kaunertaler Gletscher hinauf. Hinauf war das eine äußerst interessante Aktion, wie ich fand. In den Kehren hinunter schmerzten allerdings die Hände dermaßen, weil ich im Oberlenker fuhr und die Kräfte zum Bremsen auf der langen Abfahrt nicht reichten. Um die Abfahrt überhaupt zu bewältigen, musste ich mich schleunigst überwinden und in den Unterlenker wechseln. Das habe ich tatsächlich fertig gebracht. Zu groß war die Angst, das Ganze ansonsten nicht handhaben zu können und am Ende gar zu stürzen. Jetzt konnte ich das dosiert zu Ende bringen. Das war ein Schlüsselerlebnis! An der Abfahrtstechnik arbeite ich noch heute. Es ist mit der Zeit besser geworden.

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